Letztes Jahr haben wir die vier Jungs von Missent to Denmark aus Deggendorf/ München in unserer Rubrik MeinRaumFreunde vorgestellt, in der sie bereits ihr zweites Album angekündigt haben. Nächste Woche ist es nun soweit: “I Am You Son”, der äußerst gelungene Zweitling der talentierten Bayern, kommt auf den heimischen Markt.
Bereits das Artwork weckt vielfältige Assoziationen: Unvermittelt fühlt man sich an die Bundesjugendspiele erinnert, an denen man als Kind gezwungen war teilzunehmen. Junge Sportler bilden eine Pyramide, sie blicken düster und verbissen drein, während ein Stück weit von ihnen entfernt eine Vierergruppe über einer Boulekugel sinniert. Deren in Blau und Violett gehaltene Trainingskleidung bildet ebenso wie ihre Geistes- und Körperhaltung einen Kontrast zur Pyramide. All das sowie das pastellfarbene Design, in dem das Cover gehalten ist, unterstreicht gelungen das Klangbild, das einen auf dem Album erwartet.
Die Lyrics sind eher fragmentarisch, ergeben kaum kohärente Geschichten, sind ein fragiles Konstrukt wie die Melodien und lassen so viel Freiheit zur Reflexion, einem Spiel der Gedanken, Gefühle und Fantasie. Es entstehen Landschaften, die wie diejenige auf dem Cover aus dünnen Bleistift- oder manchmal tiefschwarzen Kohlestiftlinien entstehen, nicht schon da sind, sondern deren Entstehung man direkt beiwohnt, die sich verästeln oder mäandrieren. Man ist gespannt , was als nächstes vor dem geistigen Auge auftauchen mag. Ein großer, alter, knorriger Baum, dessen blattlose, kahle Zweige dem nächsten Sturm wohl kaum standhalten werden? Ein See, dessen Oberfläche munter glitzert und schimmert, in dessen trüb-schwarzen Tiefen sich jedoch eine Kreatur voll abscheulicher Hässlichkeit verbirgt, die den zufällig passierenden Wanderer ohne Vorwarnung in einen Mahlstrom hinabziehen wird, wie der Trommelwirbel am Anfang des Openingtracks “A Piece of Gold”, der den Hörer in ein Soundmeer reißt und sich zum Schluss aufbäumt wie eine Monsterwelle, die bricht und den See genauso plötzlich wie sie gekommen ist, still daliegend und nichts Böses ahnen lassend zurücklässt.
Außerdem werden die Texte durch eine teils offene, teils subtile Melancholie beherrscht , die durch Einsamkeit, Perspektivlosigkeit, Resignation, Suche, und das Nichtzurandekommen mit dem heutigen Lebensstil bedingt wird. Der Geschwindigkeit und Hektik, dem Egoismus und “Schneller-höher-weiter“-Ideal der postmodernen Gesellschaft, wird auf “I Am You Son” all das entgegengesetzt, für das die Kleidungsfarben der vier grübelnden und sich dem ambitionierten Pyramidenbau ihrer Kameraden verweigernden Jungen auf dem Cover stehen: Abbau von Hektik und Stress, Weisheit, Harmonie, das Unbewusste, Spiritualität, Meditation und Innenschau.
Musikalisch erwartet den Hörer treibender, energiegeladener, vom Geiste 70er-Jahre Singer/Songwriter wie Cat Stevens oder Simon and Garfunkel durchzogener Indie-Pop, der immer auch eine verletzlich- fragile Seite zeigt und dessen ruhige Oberfläche durch experimentelle Klangerzeugnisse gebrochen oder zumindest aufgewühlt wird. Es ist ein durchdachter, aber nicht verkopfter Sound, durchsetzt mit einem Touch Dramatik.
“A Piece of Gold” ist geprägt durch starke Drumpassagen, denen zarte Xylophonklänge entgegengestellt sind, auf ein brausendes Finale folgt ein filigraner Ausklang.
Das sphärische Intro von “The Past” dient als Einleitung für den mystischen Soundtrack zur Reise eines tragischen und letztlich resignierten Helden.
“Suicide Sunday” ist eine fast zerbrechlich wirkende Ballade. Vor dem geistigen Auge erscheinen Hickelhäuschen spielende Kinder an einem lauen Frühlingstag, an dem sich Schmetterlinge aus ihren Kokons kämpfen, um wenig später ihre farbenfrohen Flügel auszubreiten und ein Ballett um die zarten Blüten eines Kischbaums aufzuführen. Doch diese Idylle wird durch statische Störungen gebrochen, die eine Harmonie nicht zulassen wollen. Das Bild der heilen Welt fällt dieser klanglichen Distorsion zum Opfer - passend zum düsteren Titel.
In “We Lower Our Heads Pt. 1” fühlt man sich durch ein ständiges Rauschen im Hintergrund an Major Tom erinnert, der drogengeschwängerte Funksprüche aus den Weiten das Alls absetzt. “We Lower Our Heads Pt. 2”, das direkt im Anschluss folgt, ist dagegen das bodenständige Pendant zum Vorgänger, in dem alles Ätherische wie weggewischt ist. Wenn “Pt. 1” eine Traumsequenz darstellt, ist “Pt. 2” das jähe Erwachen, in einer Zukunft, die jedoch auch nicht hoffnungsvoller ist, als die bedrückende, nächtliche Vision.
“Once a Year” lässt einen aufhorchen, da dieser Song total aus dem doch recht einheitlichen Klangbild alles Vorherigem herausfällt. Es erinnert an ein französisches Chanson , was durch die Intonation des Gesangs noch verstärkt wird, die erst nicht erkennen lässt, ob es sich bei dem gesungenen Wort nun um Englisch oder Französisch handelt.
Die leeren Zeilen auf der vorletzten Seite des Booklets animieren zum Niederschreiben der eigenen Gedanken und Gefühle, der eigenen Interpretation und des ganz persönlichen Erlebens der Musik und vielleicht zum Weiterschreiben der Geschichte, die eigentlich nur eine Ahnung ist.