Neko Case - Middle Cyclone

Middle CycloneDie untergehende Sonne färbt den Himmel über einer endlosen Steppe orangerot. In der staubigen Weite erhebt sich ein einzelner Baum und wirft einen langen Schatten auf die nahende Nacht. Auf einem knorrigen Ast sitzt eine Eule. Ihr einsamer Ruf lässt die Umgebung noch unnahbarer erscheinen. Wären die Bilder des amerikanischen Malers Edward Hopper Musik, dann würden sie sich anhören wie das neue Album von Neko Case. Der perfekt ins „Bild" gesetzte poetische Alltagsrealismus auf „Middle Cyclone" erschafft ein neues Genre am Musikhimmel - den Cine-Folk.

Hinter Neko Case steckt eine kanadisch-amerikanische Singer-Songwriterin. Doch in ihren Liedern steckt mehr als nur das Leben, das mit all seinen Höhen und Tiefen an uns vorbei hastet. Sie singt zwar über die Natur, und was Mensch und Tier darin alles zustoßen kann. Aber sowohl die Texte wie auch die Melodien bleiben unberechenbar wie Aprilwetter - mal sanft und melancholisch, mal stimmungsvoll und stürmisch. Ihre Texte sind nicht besonders leicht zu dechiffrieren. Dadurch entsteht dieser einmalige Kino-im-Kopf-Effekt: I think everybody sees my songs different. I wanted it to be that way. My songs are little movies, I think of them as very cinematic. Die Lieder sind wirklich filmisch - aber eher im Stil von David Lynch.

Wenn Neko Case im ersten Lied auf „Middle Cyclone" von einem Tornado singt, dann kann jeder Hörer selbst entscheiden, ob damit ein tödlicher Orkan oder ein starkes Gefühle gemeint ist: If somebody wanted it to be that the tornado is rather a feeling than a tornado, they have that choice. That's what inspired me to write that song. Ganz egal, was der Hörer in die Textzeilen hinein interpretiert, „This Tornado Loves You" ist der schwungvoller Einstieg in einen melancholischen Wirbelsturm, der von den Liedern auf „Middle Cyclone" entfacht wird.

Sowohl das erste als auch das dritte Lied überraschen mit einer leichtfüßigen Indie-Haftigkeit. Allerdings kehrt Neko rasch zum Cine-Folk zurück. Das liegt vor allem am Streicherensemble in „The Next Time You Say Forever" und in „Never Turn Your Back on Mother Earth". Die sentimentalen Klänge der Geigen erweckt die Sehnsucht nach einem ungewissen, nicht greifbaren Ziel - textlich und musikalisch: I don't like to give the answer and technically some songs don't resolve on a major chord. They are open ended, like a question mark. I like the sound of music not resolving. Und genau das schafft Neko Case hervorragend - sie läßt den Hörer quasi in der Luft hängen. Man weiß nicht, ob man traurig sein soll, oder froh. Man merkt nur, wie einen die Musik langsam aber sicher ergreift.

Das Album ist voller kleiner, musikalischer Experimente. Zwischen den Indie und Cine-Folk Momenten tauchen immer wieder spielerische Honkey Tonk Elemente auf. Das Saxophon bittet in „Don't Forget Me" zum Tanz und die Drehorgel bei „The Pharaos" lässt Kirmesstimmung aufkommen. Auf Harmonien folgen Dissonanzen, auf Klavier folgt Vogelgezwitscher. Das letzte Lied ist ein einziges gelooptes Vogelzwitschern: I thought, it would be funny to put it on at the end. We realised how much time is left at the end of a CD. So we thought: let‘s not waste it. And we made this soothing track.

Der rote Faden, der durch „Middle Cyclone" führt, ist Nekos wundervolle Stimme. Sie  verdankt es einem Zufall, dass sie den Sprung vom Schlagzeug ans Mikrophon geschafft  hat: I played drums in the first several bands. It was in Toledo in a band called Cub when I was filling in for their singer. I just sang one of the songs that night. That was the first time I ever sang in public. Aber schon in ihrer Kindheit war Singen ihre große Leidenschaft: Singing is such a great feeling. I just wanted it so bad. It was an overriding desire. Physically it feels really incredible to do. Like you are your own generator. Playing drums was great, too. But doing both at the same time is really hard. So I decided to just focus on the singing part.

„Middle Cyclon" schwelgt - genau wie Edward Hoppers Bilder - in unerfüllter Sehnsucht und geselliger Einsamkeit. Der energetische Stimme von Neko Case ist es zu verdanken, das sich die melancholisch-melodischen Lieder auf Middle Cyclone so perfekt zu einem Wohlfühl-Album vereinen. Noch lange nachdem der musikalische Wirbelsturm vorbei gezogen ist, schwirren einem die verträumten Cine-Folk Lieder im Kopf und Herz herum.

Eine Tour von Neko Case folgt im August 2009.

Erscheinung: 27.02.2009
Label: ANTI/SPV
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www.nekocase.com/