Seit fast einer Dekade dasselbe Spiel bei mir, wenn Boa die neue Saat auf den Acker streut; ja - von einer ritualisierten Handlung zu sprechen wäre überhaupt nicht überzogen. Auch nicht, dass der Malteser Falke jedes Mal aufs Neue noch freie Stellen auf dem von ihm nun schon seit 25 Jahren bestellten Feld findet. Boa, die 17te.
Zollte der Vorgänger „Faking To Blend In" (2007) der motor-isierten Veröffentlichungspolitik noch ein gewisses Maß an Inkonsequenz - man merkte wo Boa hin wollte, aber auch, wo er gebremst wurde - so scheint dieses Mal alles was nicht zur neuesten Vision hundertprozentig beiträgt über Bord zu gehen. Ja, „Kohärenz" wird wohl das große Stichwort für das in zwei Wochen kommende „Diamonds Fall" sein. Oder auch nicht, wer weiß das schon. Das soll nun natürlich nicht heißen, dass wir auf der Single resp. EP halb fertig produzierten, lauwarmen B-Seiten-Ramsch untergejubelt bekommen.
Mitnichten!
Auf die Frage, weshalb man in der heutigen Zeit überhaupt noch physische Singles herausbringt antworten Phillip Boa & The Voodooclub z.B. mit einem Song wie „Sigh". Diese viereinhalb Minuten thronen, schweben, thronen. Boa hat hier mit seinen Mannen einen Monolithen auf CD gemeißelt, der von einem Jaki Liebezeit (yes, CAN!) angetrieben völlig unaufgeregt in die höchsten Höhen einer ätherischen Hymne steigt. Auch ist es mal wieder ein Stück, das den Bandbeinamen rechtfertigt, die Hektik und Hetze der früheren Rhythmusräusche allerdings nicht herbeizitiert, sondern ganz im Gegenteil genügend Platz zum atmen lässt. „I Don't Need Your Summer" im trancigen Winter-Modus. Melancholisch aber doch schlafwandlerisch kämpferisch.
„Dubbly Wubbly" und „Wild Goes The Circus" entführen dann ebenso entspannt aber spannend ins Lundaland. Boa dezent im Hintergrund, facettenreiche Produktion und die schrammeligen Arrangements welche dem 2005er Werk „Decadence & Isolation" noch den Anstrich einer Rockgarage verpassten, gehören wohl absolut der (derzeitigen) Vergangenheit an. Man residiert ausgeschlafen und maritim. Aber selbst an einem (zunächst) durch und durch harmonisch klingenden Kleinod wie dem „Titelstück" beißt sich der beiläufige Poplauscher die Milchzähne aus. Unter der Oberfläche brodelt es in liebgewonnener Schieflage. So als hätten sich die Beatles nach Veröffentlichung des weißen Albums mit den „späten" Velvet Underground und einem abseitigen Diamond Dogs-Bowie bei einer nächtlichen Partie „Junta" in die Wolle bekommen.
Die etwas schizotypische Seite des ganzen Projekts blitzt dann auch noch kurz auf. Nämlich im allerletzten Song „The Great Houdini"; eigentlich schon ein Bekannter. Ende 2007 als Split-7" mit Speedway 69 veröffentlicht mag dieser schrullige Track erst so gar nicht zu seinen Mitsongs passen; entfernt sich jäh in seltsam zwielichtige Electro-Gewässer. Fast so, als wäre ein Songüberbleibsel aus der „She"-Zeit hermetisch abgeriegelt mutiert. Ja, großartig wenn sich dann alles in einem Refrain entladen kann, der die ungeschützte Sonne von „Lord Have Mercy..." scheut. Gerade auf „Repeat" ergibt das eine wunderbare Ambivalenz.
Unterm Strich: Losgelöst vom letzten Rest Fremdbestimmung (behaupte ich jetzt einfach mal) zeigt sich Boa völlig ohne große Pose auf der Augenhöhe mit seinem Hit/Kult-Altlasten-Triptychon „Hair"-„Hispanola"-„Helios" und wirft erste grandiose Häppchen auf den Weg. Seine großen Stärke, die unbeschwerte Melancholie und die alles andere als schwärmerische Romantik (im Gegensatz zum Rezensenten) finden in jeder Note ihren Ausdruck. Blablabla.
Die Single hat die ersten Türen eingetreten - das Album möge kommen!
Allen Liebhabern von konsequent eigenwilligem Songwriting und explorativen Poptypen ans Herz genagelt.
Maxi-CD, Rough Trade, 31.1.2009
1. Lord Have Mercy With The 1-Eyed, 2. Sigh, 3. Dubbly Wubbly, 4. Wild Goes The Circus, 5. The Great Houdini.
www.phillipboa.de