Er war schön, der Traum von der Kulturhauptstadt

Kürzlich wurden wir dazu eingeladen, am neuen Netzwerk ECCE, dem European Center of irgendwas, teilzunehmen. Ich wollte  es schon als den üblichen Werbemüll, dazu noch schlecht gemacht, in den berühmten Rundordner werfen, da erblickte ich das Logo der Kulturhauptstadt.
Oha, dachte ich.  Man beachtet uns.
Unterschrieben war der Brief von Dieter Gorny und Bernd Fesel. Kurzfristig fühlte ich mich gut und als Teil des Großen und Ganzen - doch dann begann ich den Text zu lesen, der auf dieser Einladung stand, und begriff: Oh, die meinen wohl doch nicht uns.

Ein ungeheures Geschwurbel über Kreative, Köpfe und die Metropole Ruhr buchstabensuppte mir entgegen - eine wahre Textwüste, ergänzt um eine bodenlos unlesbare Subseite der RUHR.2010-Website, bestehend aus Vokabeln wie strukturfördernd, europäischer Kontext, Ruhr Music Commission (so etwas gibt es wirklich), kreative Ursubstrate, digitaler Diskurs usw. Eine Art bürokratischer Ursuppe verkopfter Kreativtechnokraten, die ernsthaft glauben, man könnte das Ruhrgebiet ins nächste kreative Jahrhundert bomben wie einst die Alliierten das am Boden liegende Deutschland.

Warum - frage ich mich jedoch - kommt eine derartige Einladung so dermaßen verkopft daher, dass selbst das letzte Haushaltsstrukturgesetz der Bundesregierung mehr Esprit verströmt? Wieso hat man das Gefühl, dass die Kreativwirtschaft hier nicht gelebt, sondern verwaltet wird ? Wieso spricht mich und viele andere das nicht an oder schreckt gar ab?

Ich habe da eine Ahnung: Menschen wie Dieter Gorny oder Bernd Fesel geht es gar nicht um die Kreativen oder Menschen hierzulande. Nein. Sie wollen Strukturen schaffen, Kopfgeburten umsetzen und ihre Idealmodelle endlich realisiert sehen. Die einzigen, die dabei stören, sind wir, die wir das alles anders machen woll(t)en.

Da ist doch ernsthaft von Bottom-up-Strategie die Rede. Gleichzeitig aber schafft man - von oben herab - neue, teure und durchaus tolle Portale wie das LAB2010 oder auch den Ruhrableger von ByteFM, die aber doch nichts anderes sind, als von oben aufgestülpte, befohlene, importierte Strukturen. Das ist - mit Verlaub - Top-down. Wie so vieles in der Kulturhauptstadt: Warum hat man diese neuen Netzwerke und Portale und Instrumente nicht aus den bestehenden geschaffen, ihnen Zeit gegeben, um sich zu entwickeln, auf einem eigenen Weg?
Warum habt ihr eure Millionen in den Aufbau von größtenteils selbstbeweihräuchernden, überflüssigen und  - ja - kalten Projekten gesteckt, statt sie den Menschen zu geben, die hier Kultur machen  - und nicht permanenten Sitzungssozialismus mit Selbstumkreisung betreiben? Ihr lieben Feselgornys unterliegt einem Denkfehler: Nicht die Strukturen sind Kultur, das Wahre, Gute und Schöne ist die Kultur. Die Strukturen folgen den Menschen, nicht die Menschen den Strukturen. Und deswegen, liebe Kreativtechnokraten, werdet ihr scheitern und es wird sich nichts verändern. Denn das Wahre, Gute und Schöne lässt sich nicht verordnen. Die Menschen bleiben nicht hier nur wegen ein paar Strukturen.

Ihr wisst gar nicht, wie froh ich bin, wenn dieses Kulturhauptstadt-Gewese endlich ein Ende findet, wenn diese Technokraten sich endlich davonstehlen, ihr eigenes, pralles Säckel auf den Rücken schnallen und dann eine andere Region kreativwirtschaftlich verwüsten.
Er war schön, der Traum von der Kulturhauptstadt. Doch jetzt können wir uns endlich wieder der Kultur zuwenden. Vielleicht kehre ich dann sogar wieder zurück aus dem Rheinland ins wahre, schöne und gute Ruhrgebiet.