TV Turnoff Week und Flach TV

Vom 23.-29.04. ist wieder weltweite TV Turnoff Week. Die Vorzeigekampagne der Adbusters scheint jedoch etwas an Schwung verloren zu haben. Selbst die Adbusters brauchten bis wenige Tage vor Kampagnenbeginn, um ihre neuen Motive freizuschalten. Aktivismus und Mediengeklingel halten sich in diesem Jahr in Grenzen. Warum eigentlich? Hat das böse Internet das böse Fernsehen etwa als Haupt-Unkultur abgelöst? Wohl kaum. Schließlich ist das TV unserer Tage schlimmer denn je.

Erinnern wir uns: Als das Privatfernsehen begann, die öffentlich-rechtlich geprägten Sehgewohnheiten zu unterwandern, gebar es eine neue Art von Talkshow. Sie lief bei RTL und nannte sich "Der heiße Stuhl". Ein Mensch mit einer provokanten These und Meinung stellte sich den kritischen Fragen so genannter Experten. Natürlich waren diese Experten grundsätzlich anderer Meinung als der Stuhlbesetzer. Aus der Gegenüberstellung streitbarer Geister sollte so etwas wie Spannung entwachsen, besser noch: Fernsehskandale. Die Sendung war einer der ersten Versuche der Privaten, die öffentliche Entrüstung, die Schlagzeile in der Boulevardpresse und damit den Werbeerfolg planbarer zu machen: ein leichtes Unterfangen nach Jahren vermiefter TV-Etikette.

Und heute? Könnt ihr euch noch an einzelne Sendungen erinnern? Vermutlich nicht. Ich bekenne jedoch: Ja, ich kann mich an eine Sendung erinnern. Nicht mehr an die Namen oder an Gesichter, aber an das Thema: Gewalt im Fernsehen. Der Besetzer des heißen Stuhls hatte die These aufgestellt, dass die Gewalt im Fernsehen zunehme und zu einer allgemeinen Verrohung führe. Um ihn aus der Reserve zu locken, zitierte der damalige Moderator [[Ulrich Meyer]] eine Kinokritik aus den 60er Jahren. Darin wurde dem Film "[[James Bond jagt Dr. No]]" eine übermäßige Brutalität und Gewaltverherrlichung vorgeworfen; eine bereits zu Zeiten des "Heißen Stuhls" scheinbar absurde Behauptung. So munitioniert glaubte Ulrich Meyer, den Moralisten auf dem heißen Stuhl der Lächerlichkeit preisgeben zu können. Wer regt sich schon über einen unterhaltsamen James-Bond-Film auf? Wer würde heute ernsthaft dessen Ausstrahlung unterbinden wollen?

Es zeugt nicht gerade vom Intellekt des Moderators, dass er das Eigentor nicht selbst erkannte. Seine Souveränität fiel in sich zusammen, als der Moralist ihm - dankbar für die Flanke - klar machte, dass gerade dies ein Beweis für seine These war: Tooor! Was in der 60ern noch als Gewalt verherrlichend empfunden wurde, ist heute mehr als salonfähig.

Seitdem ist noch mehr Zeit vergangen. Niemand spricht mehr über den „Heißen Stuhl", der doch im Vergleich zu heutigen Talkshows noch ein erträgliches Maß an Intelligenz erforderte und semantisch durch den Stuhlgang ersetzt wurde. Heute jagen die TV-Sender eine Rampensau nach der nächsten durch die entleerten Dörfer, immer auf der Suche nach den letztmöglichen Tabubrüchen, nach der Grenze der Erträglichkeit, nach der ultimativen Steigerung. Diese Steigerungslogik der Medien hat jedoch eine unangenehme Begleiterscheinung, nämlich die radikale Vereinfachung, die Schematisierung, die Reduzierung von Menschen und Themen auf ein Merkmal, eine Wesensart, eine Aussage. Denn nur einfache Kernbotschaften radikalisieren, provozieren, erreichen eine große und quotenträchtige Masse.

"Deutschland sucht den Superstar." - "A cumshot a day keeps the doctor away." - „TV total." Alles, was eine Botschaft verkompliziert, hat im TV nichts mehr zu suchen. Die Aufforderung zum Nachdenken schafft Distanz beim Zuschauer, er wird unaufmerksam, schweift gar ab, schaltet möglicherweise sogar um oder schaut weg. Das darf er nicht, denn es gibt eine noch viel wichtigere Botschaft: die Werbebotschaft. Also gibt es nur Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse, Plus oder Minus, Tränen oder Titten. Zwischentöne sind nicht gefragt, wenn einfachst gestrickte Menschen nachmittags in Fäkalsprache aufeinander eindreschen oder Models lernen, aufrecht zu gehen und nicht zu reden. Sie sollen schließlich nicht diskutieren - was sie auch sicher nicht könnten - sondern polarisieren oder flennen. Es geht auch nicht wirklich um ihre Probleme oder Meinungen, es geht ausschließlich um die Steigerung dessen, was am Vortag lief. Deswegen muss Fernsehen immer dümmer und radikaler werden: Flach-TV.

Welche Rolle spielt da der Mensch? Warum lässt der sich in einer Nachmittagstalkshow am Nasenring durch die Manege ziehen oder von Dieter Bohlen demütigen? Ihn treibt die vage Hoffnung, seinem tristen Leben die nötige Extravaganz zu verleihen. Star werden, besonders sein, aus der Masse heraustreten, sich so unkonventionell geben, wie andere es erwarten, die Kehrseite der Vereinfachungsmaschine TV: Ein ganzes Fernsehvolk auf der Suche nach der eigenen Extravaganz, der eigenen Botschaft vom anderen Ich, nach Identität. Ein trauriges Spiel: Seinem Leben nur dadurch einen Sinn zu geben, indem man anders ist? Wie anders ist man, wenn Millionen versuchen, ebenfalls anders zu sein? „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit", hat Kant einmal gesagt. Durchgesetzt hat sich das offenbar nicht.

Stattdessen: Vorhersehbarkeit und Langeweile. Das TV ist so gut, wie die Menschen, die darin auftreten und es machen. Menschen glotzen in den Kasten, empfangen einfachste Botschaften, liefern ihre eigene sinnlose Existenz einem Verkaufsritual aus und ersparen sich jeden eigenen Gedanken über das, was Ihr Leben ist. Um tatsächliche Extravaganz, interessante Individuen, so genannte Originale zu entdecken, ist das Fernsehen der falsche Ort. Die vermeintliche Extravaganz der Fernsehfratzen muss immer ins massenhafte Zielgruppenschema passen, breite Akzeptanz finden, verkaufbar sein. Saudummes Geschwätz und mediokres Langweilergehabe wird deshalb zum Inbegriff des Unkonventionellen stilisiert. Signal: Auch du, lieber Durchschnitt, bist etwas Besonderes, wenn du doof genug bist, um bei uns mitzumachen.

Um ehrlich zu sein: Ich habe dieses Flachwichsergehabe satt. Abschalten. Weghören. Ignorieren. Klar: Es gibt 3sat und arte. Mag auch sein, dass die TV-Macher sich gar nicht auf diese Gedanken einlassen, sich gar als demokratische Bewegung feiern, die den normalen Menschen und die Unterschicht ins TV zerren, um sie zu emanzipieren. Doch Reduzierung und Vereinfachung haben letztlich keine Demokratisierung, sondern Radikalisierung zur Folge. Motto: Endlich spricht es jemand aus, dann darf ich das auch. So hebelt man moralische Grenzen aus - Faschisten wissen das. Das TV ist zwar ein weitgehend sinnentleertes, aber leider noch kein wirkungsloses Medium. Ein großer Teil der TV-Journalisten darf als seelisch und moralisch degeneriert angesehen werden, doch sie haben weiterhin Einfluss. Um so bedenklicher ist ihr polarisierendes Tun, ihre monetär begründete Menschenverachtung und ihr daraus folgender Entblößungswahn.

Optimisten hoffen auf einen Bedeutungsverlust des Fernsehens. Es hat allerhöchstens noch Lagerfeuer-Charakter: Es brennt und wärmt irgendwie, aber man schaut eigentlich nicht hin, sondern beschäftigt sich mit anderen Dingen. Zum Beispiel der Frage, ob die Welt nicht vielleicht doch etwas komplizierter ist. Pessimisten fürchten, dass die Tendenz, komplizierte Fragen mit einer einfachen Antwort zu lösen, verstärkt wird. Über die Folgen mag man besser gar nicht nachdenken: Radikal, ick hör dir trapsen! Ihr fragt nach einem Beleg für die Radikalisierung? Ihr lest ihn gerade: Scheiß TV!

Und über die Rolle des Internet oder gar der sich entblößenden Blogger reden wir ein andermal.